Arno
Tanner

Humanitärer Helfer & Logistiker

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Im Kleinen etwas bewirken

PAREA LESBOS – Per Zufall stösst Arno Tanner (27), humanitärer Helfer für Menschen auf der Flucht, in seiner Recherche über geflüchtete Jugendliche auf die Mailadresse seines ehemaligen Lernhaus­leiters Stefan Gander. Und nutzt die Gelegenheit, sich für die Ober­stufenzeit an der SBW Herisau (2008-2011) zu bedanken.

Text: Mark Riklin | Bild: Annalisa Iotti

«Ob du dich noch an mich erinnern kannst? Damals zu Zeiten der SBW Herisau war ich in deinem letzten Jahrgang in der Oberstufe. Wie es als Jugendlicher so ist, war mir damals noch nicht bewusst, was für eine grosse Unterstützung mir durch die Struktur der SBW zugutekam. Doch im Nachhinein betrachtet, bin ich sehr dankbar dafür, dass ich Dinge gelernt habe, die mich bis heute in meiner Arbeit begleiten.»

Zeitgefässe für eigene Ideen

Ein paar Wochen später. Arno Tanner sitzt auf Lesbos im Paréa Community Center und meldet sich via Google Meet, um von seinem Werdegang zu erzählen. Ende Primarschule sei er aus dem regulären Schulsystem ausgebrochen und an die SBW Herisau gewechselt. Dort habe er gefunden, was er gesucht habe: Leute, die sich Zeit genommen haben für mich, auf mich zugekommen und eingegangen sind, mich unterstützt haben; Zeitgefässe für eigene Ideen und Interessen, die ich in den CréActivas (Metall­bearbeitung, Theater, Musik etc.) ein Trimester lang ausprobieren und mich kennenlernen konnte; ein offenes Lernatelier, in dem ich lernte, eigene Strukturen aufzubauen und meine Zeit selber einzuteilen.

Logistiker

Am Ende der Oberstufe entschied er sich für die erstbeste Lehrstelle, die ihm angeboten wurde. Nicht aus Überzeugung, sondern als Mittel zum Zweck, wie er heute sagt. Und so liess er sich bei der Herisauer Metrohm AG, einem international tätigen Schweizer Hersteller von Präzisions­geräten für die chemische Analytik, während dreier Jahre (2011-2014) zum Logistiker EFZ ausbilden, kontrollierte den Waren­eingang diverser Materialien, verteilte diese auf Lagerplätze, bevor sie in der Spedition als fertige Geräte verpackt, palettisiert, für den Export bereitgestellt und auf Lastwagen verladen wurden. Noch ohne zu ahnen, dass ihm diese Kenntnisse und Erfahrungen eines Tages in einem ganz anderen Kontext nützlich sein könnten.

Humanitärer Helfer

Mittlerweile arbeitet Arno Tanner auf der griechischen Insel Lesbos als humanitärer Helfer für Menschen auf der Flucht, unweit vom ehemaligen Flüchtlingscamp in Moria entfernt. Anfangs September reiste er bereits zum dritten Mal nach Lesbos, um als Freiwilliger für die humanitäre Hilfsorganisation «Europe Cares» zu arbeiten, die 2020 nach dem Brand in Moria gegründet wurde und sich an den europäischen Grenzen für Menschen­rechte einsetzt. Seine Aufgabe: die Koordination der Social-Media-Kommunikation, die Unterstützung des Koordina­tionsteams vor Ort, die Kontaktpflege mit Menschen auf der Flucht und das Verteilen von Hilfsgütern. Hier holt ihn seine berufliche Vergangenheit ein, ist doch Logistik ein grosser Teil der humanitären Arbeit: Kleider­spenden koordinieren, lagern, aussortieren und ein Ticketsystem aufbauen, um sie geordnet und gerecht verteilen zu können.

Passion

«Tagtäglich bin ich mit Menschen in Kontakt, die auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind», sagt Arno Tanner, «und in gewissen Situationen erinnere ich mich daran, dass ich mir dies wohl vor 10 Jahren nicht hätte erträumen können. Der Grundstein dazu wurde auch durch die SBW gelegt, auch wenn ich damals noch keine Ahnung hatte, dass ich in Zukunft in diesem Bereich meine Passion finden würde. Durch die Haltung der SBW habe ich damals aber gelernt, dass es in Ordnung ist, sich Zeit zu nehmen, um seine Passion zu erforschen.» Die eigene Passion hat Arno Tanner inzwischen längst gefunden: das soziale Engagement für Menschen in Not, oft ehrenamtlich und unentgeltlich.

Freiwilligenarbeit

Erste Schritte in der Freiwilli­genarbeit machte Arno Tanner als Kultur­schaffender in der Stadt St.Gallen in der Grabenhalle, sei es beim Ausschank hinter der Bar oder beim Veranstalten politischer Events. Auf seiner Reise durch Mittel- und Südamerika arbeitete er in Panama an einer Schule mit Kindern, die eine kognitive Beeinträch­tigung hatten, und erkannte, wie schnell und gut er mit ihnen in Kontakt kam. In Flawil arbeitete er als Betreuungs­person an der Heilpäda­gogischen Schule, in Winterthur als Zivi an einer Sonderschule. Immer mehr rutschte Arno Tanner ins pädagogische, soziale Feld, bis er sich immer mehr auf die Arbeit mit Geflüchteten konzentrierte. Seit die humanitäre Krise in Lesbos begann, hatte er an Demonstrationen teilgenommen, bei der Sammlung von Hilfsgütern geholfen. Der Grossbrand in Moria gab den Ausschlag, selbst in den Flieger zu sitzen und vor Ort zu schauen, was es beizutragen gibt.

12- bis 13-Stunden-Tage

Arno Tanner ist ein Macher. Einer, der nicht lange redet, sondern anpackt, wo Not zu sehen ist. Tagsüber arbeitet er 8 bis 9 Stunden im Community Center, kommt mit Geflüchteten ins Gespräch, hilft beim Ausdrucken wichtiger Papiere, verbringt mit ihnen bei Tee oder Kaffee Zeit, hört zu. Die eigentliche Arbeit im Bereich Kommunikation und Logistik verschiebt sich in die Abendstunden, oft werden es so 12- bis 13-Stunden-Tage. Was ihn dazu motiviert? Die Dankbarkeit, im Kleinen etwas beitragen zu können, selbst wirksam zu werden. Früh habe er für sich entschieden, dass es Wichtigeres gibt als Geld: jeden Morgen gerne aufzustehen und das Haus mit dem Gefühl zu verlassen, einer sinnvollen Arbeit nachzugehen. Seine Lebenskosten decken kann er mit den 3000 Franken, die für seinen humanitären Einsatz mittels Crowdfunding in kurzer Zeit zusammenkamen.

Internationale Not- und Katastrophenhilfe

Der Hintergrund-Lärm im Community Center nimmt zu. «Im Moment ist gerade alles ziemlich chaotisch hier auf Lesbos», sagt Arno Tanner. «Zum einen, weil die Verteilung der Winter­kleidung ansteht, zum andern, weil ich im Januar in Zürich bei «Ärzte ohne Grenzen» unerwartet eine Praktikums-Stelle in der Online-Kommunikation antreten kann.» Vor der Abreise in die Schweiz ist noch viel zu tun: die Verantwortung in neue Hände übergeben und eine/n Nachfolger/in für das WG-Zimmer suchen. Wie der Weg nach Abschluss des Praktikums weitergehen könnte, ist noch offen: von einer Nachfolge-Stelle bei «Ärzte ohne Grenzen» bis zu einem Studium in «Internationaler Not- und Katastro­phenhilfe» an der Akkon Hochschule für Human­wissenschaften in Berlin ist vieles denkbar.

Mehr zum Lesen:

St.Galler Nachrichten: St.Galler leistet Hilfe in Moria

Saiten: Gebrochene Flügel

Saiten: Überleben am Wegrand

 

 

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